Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 13.1.1979.
von Andrea Hömke und Christof Leim
Als der Discoknaller Y.M.C.A. der Village People vor 40 Jahren durch die Decke geht, steigen die Besucherzahlen in den gleichnamigen Herbergen. Trotzdem drohen die Betreiber mit einer Klage. Warum eigentlich? Nachher ist alles aber gar nicht mehr so schlimm.
Hört hier in die besten Songs der Village People rein:
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Die fröhliche Disconummer ist ein Hit: Im November 1978 veröffentlichen die Village People einen kleinen Song namens Y.M.C.A., der sich satte 26 Wochen in den US-Charts hält und Anfang 1979 sogar Platz zwei erreicht. Nicht schlecht angesichts der 20 Minuten, die Produzent Jacques Morali zum Komponieren der musikalischen Grundstruktur gebraucht hat, inspiriert von einem Besuch eines gleichnamigen Hostels auf der 23. Straße in Manhattan.
Hinter den Herbergen dieser Kette steht die Young Men’s Christian Association, kurz YMCA, auf Deutsch: Christlicher Verein Junger Männer. Dem beschert die Band aus Polizist, Indianer, Bauarbeiter, Rocker, Cowboy und Soldat eine ordentliche Öffentlichkeitswirkung. Nun könnte man annehmen, dass ein wohltätiger Verein, der jungen Menschen unter die Arme greift und günstige Übernachtungsmöglichkeiten in Großstädten bietet, sich über kostengünstige Werbung freut. Grund zur Freude für alle also? Nicht ganz. Denn die Organisation YMCA droht mit einer Klage wegen des Songs, als der gerade durch die Decke geht. Das genaue Datum lässt sich nicht verifizieren, viele Quellen nennen den 13. Januar 1979.
Doch wo liegt eigentlich das Problem? Der Begriff „YMCA“ ist geschützt. Dass die Band haufenweise Geld mit dem Namen verdient, während der Verein leer ausgeht, kommt deswegen vermutlich nicht so gut an. Der offizielle StandpunktdesYMCAlautet: „Wir erkennen den Erfolg und die Beliebtheit des Songs an. Allerdings haben wir den Village People nie erlaubt, unseren Namen zu nutzen, um Waren zu verkaufen oder Dienstleistungen anzubieten, und wir widersprechen jeder Nutzung unserer Marke, die der Öffentlichkeit etwas anderes suggerieren könnte.“
Das klingt plausibel. So mancher Beobachter damals sieht jedoch einen ganz anderen Grund, nämlich den, dass die Organisation hinter vorgehaltener Hand Probleme damit hat, mit einer Hymne der Schwulenszene in Verbindung gebracht zu werden. Offiziell verkündet wird das allerdings nicht. Sind solche Befindlichkeiten denn denkbar? Schauen wir uns die Vorgeschichte des Vereins an: 1844 wird in London das erste YMCA gegründet. Die Einrichtung soll jungen Männern in der Großstadt Glaubens- und Lebensorientierung geben, alles auf biblischer Grundlage. Aus dieser Idee entsteht in wenigen Jahren eine weltweite Bewegung, die in den USA sehr gut ankommt.
1867 eröffnet dort das erste Haus mit Übernachtungsmöglichkeiten, schon wenige Jahre später gibt es viele Hostels mit Sporträumen, Schwimmbädern, Kegelbahnen und größeren Schlafsälen. 1940 stehen in ganz Amerika etwa 100.000 Zimmer zur Verfügung – ausschließlich für Männer, denn Frauen haben eigene Häuser (YWCA). Und so kommt es, dass diese christlichen Herbergen landesweit einerseits als billiger und sicherer Ort für Besucher der Städte gelten, andererseits ab 1890 auch als beliebte Treffs schwuler Männer. Denn wo könnte es unauffälliger sein, sich seiner damals nicht akzeptierten Vorliebe hinzugeben als in einem christlichen Verein? Zwischen den Vierziger und Sechziger Jahren erlebt die so genannte „Cruising-Szene“ in den YMCAs einen Höhepunkt, die Häuser ziehen Homosexuelle auf der Suche nach Kontakten an. Dem Verein, der christliche Werte und Keuschheit propagiert, passt das nicht, und er führt stärkere Kontrollen ein. Viel ändert sich nicht.
Vielleicht muss man nicht mal von einer grundlegenden (und natürlich inakzeptablen) Homophobie im Verein YMCA der Siebziger ausgehen. Womöglich wollen die Organisatoren ihre Häuser anders und im Sinne ihrer Statuten genutzt sehen. Man könnte sagen: Eine Jugendherberge ist kein Swinger Club, egal für welche Geschlechter. Doch stellt sich die Frage überhaupt? Ist Y.M.C.A. überhaupt ein „schwuler Song“? Da gehen die Meinungen auseinander.
In der Nummer singen die Village People, eine schwule Band, über einen Ort, an dem junge Männer alles tun können, was Männern Spaß macht. Sie können mit all den Jungs abhängen (“They have everything for you men to enjoy / you can hang out with all the boys”), sie können sich waschen, essen und all das tun, wozu sie Lust haben (“You can get yourself clean, you can have a good meal / you can do what about you feel”). Daran lässt sich nun wirklich nichts aussetzen, aber die Zweideutigkeiten liegen auf der Hand.
Doch was sagen die Village People selbst, waren die Zweideutigkeiten die Absicht der Songschreiber Victor Willis, Henri Belolo und Jacques Morali? Sänger Victor Willis erklärt 2008 in einem Interview, dass es ihm nicht um Homosexualität ging. Für ihn sei Y.M.C.A. ein ambivalenter Song, der durch die Assoziationen zur Band in diesem Sinn ausgelegt wurde. Der „Bauarbeiter“ der Truppe, David Hodo, sieht das ganz anders: „Natürlich hat Y.M.C.A. einen schwulen Ursprung. Schaut uns an: Wir sind eine schwule Gruppe. Wurde das Lied geschrieben, um schwule Männer im YMCA zu feiern? Ja. Absolut.“
Glücklicherweise stellt sich die Frage nach dem Grund zur Klage nicht lange: Beide Parteien einigen sich einvernehmlich und außergerichtlich. Es lässt sich eben nicht leugnen, dass der die Organisation durch den Song eine Öffentlichkeitswirkung erfährt, für die andere Firmen einen Haufen Geld ausgeben müssen. Mehr noch: Es wird nicht nur die Klage zurückgezogen, der Verein übernimmt Y.M.C.A. sogar als inoffizielle Hymne. 2008 erklärt eine Sprecherin: „Wir von YMCA feiern den Song. Er ist sehr positiv und steht für all all das, was wir Menschen weltweit bieten.“
Heute stellt sich die Frage des sexuellen Hintergrunds nicht mehr. Y.M.C.A. gehört zu den größten Disco-Hymnen, und vermutlich hat jeder schon mal die vier Buchstaben nachgetanzt. (Für alle anderen gibt es hier eine Anleitung von der Band höchstselbst.)
Titelfoto: Mario Casciano/Wikimedia Commons
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